Reden wir noch über Menschen?
Shownotes
Die Stimmung gegenüber Geflüchteten ist in Teilen der Bevölkerung längst gekippt. Auch in Pfedelbach im Nordosten Baden-Württembergs wehren sich Ortsansässige gegen geplante Unterkünfte. Und bedienen sich dabei rassistischer Klischees.
Pfedelbach, eine 9.000 Personen starke Gemeinde im Hohenlohekreis, liegt idyllisch zwischen der Hohenloher Ebene und den Waldenburger Bergen. Ein Renaissanceschloss aus dem Jahre 1572 ziert das Bild der charmanten Ortschaft. Schön hier. Und doch ist die Stimmung derzeit angespannt.
Spürbar ist dies bei der Bürgerinformationsveranstaltung an diesem Mittwoch Mitte März in der Gemeindehalle Nobelgusch. Etwa 550 Menschen sind gekommen. Der moderne Mehrzweckraum ist randvoll mit Stühlen bestückt. Die Bezeichnung der noch jungen Nobelgusch, auf Deutsch "edles Haus", hat ihren Ursprung im Jenischen, der Sprache einer Minderheit des Fahrenden Volkes. Im 18. Jahrhundert zogen viele von ihnen nach Pfedelbach – und wurden dort gerne aufgenommen. Auch an diesem Abend im März geht es um Zuwanderung. Konkret: um die geplante Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Seniorenzentrum "Im Löwengarten". Der Ton hat sich jedoch verändert, von gerne aufnehmen kann keine Rede sein.
Es ist bereits die zweite Infoveranstaltung zur Flüchtlingsunterkunft, eingeladen haben Gemeinderat und Landratsamt. Anstoß dafür war eine Bürgerinitiative, die binnen zwei Monaten etwa 1.500 Unterschriften gegen das geplante Flüchtlingsheim gesammelt hat.
Immer wieder kam es in Kommunen Baden-Württembergs jüngst zu Protesten gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen, so etwa in Tamm (Landkreis Ludwigsburg), in Wüstenrot-Greuthof (Landkreis Heilbronn) oder in Beinstein (Landkreis Rems-Murr). Auch die Gemeinde Pfedelbach macht nicht zum ersten Mal Schlagzeilen: Im November 2016 stand im Ortskern ein Gebäude in Flammen, wenige Wochen vor dem geplanten Einzug von 40 Geflüchteten. Schnell bestätigte sich der Verdacht der Brandstiftung, doch vom Täter fehlt bis heute jede Spur. Die rechtsextreme Gruppierung "Hohenlohe wacht auf" nutzte die Gunst der Stunde, um die Stimmung mit Kundgebungen und Protestmärschen weiter anzuheizen. Als im benachbarten Neuenstein im Januar 2017 ebenfalls eine geplante Flüchtlingsunterkunft brannte, zeigte sich die Gruppe solidarisch mit den beiden Brandstiftern.
Fast 20 Prozent unterstützen Gewalt gegen Flüchtlinge
Solidarisch gegenüber Gewalt dieser Art sind offenbar auch viele andere: Laut einer Studie von Rafaela Dancygier, Politologin an der Princeton Universität, sahen im Jahr 2017 rund 18 Prozent der deutschen Bevölkerung Gewalt gegenüber geflüchteten Menschen oder deren Unterkunft als legitim an. Die Flüchtlingsfeindlichkeit hat die Jahre überdauert: Eine Recherche der "Zeit" ergab, dass 2022 insgesamt 121 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in der Bundesrepublik verübt wurden. Im Jahr zuvor waren es noch 70.
Die Sorgen der Bevölkerung sind immer dieselben. Auch die Pfedelbacher:innen fürchten junge männliche Geflüchtete, die hier weder arbeiten dürfen noch eine Frau haben, so heißt es, und somit "den ganzen Tag nichts zu tun und viel Zeit für dumme Ideen" hätten. "Ich will weiterhin einen Rock anziehen dürfen, ohne damit zu signalisieren, dass man gleich ran darf", sagt beispielsweise Olga Brecht, Altenpflegerin aus der Nachbargemeinde Bretzfeld. Wohnte sie in Pfedelbach, hätte auch sie ihre Unterschrift gegen die geplante Unterkunft gesetzt.
Die künftige Sicherheit der Pfedelbacher:innen ist an diesem Infoabend in der Nobelgusch ein brennendes Thema, kein rassistisches Klischee wird ausgelassen. Wer die 14-jährige schlanke, große, blonde Tochter von nun an vor Vergewaltigungen schütze? Wie denn die Pfedelbacher Kinder nun sicher in die Schule und wieder nach Hause kämen? Der Pfedelbacher Bürgermeister Torsten Kunkel interveniert: "Sie unterstellen, dass lauter Kriminelle zu uns kommen. Vergessen Sie nicht eins, wir sprechen hier über Menschen."
Rein rechtlich gesehen hätte die Politik überhaupt nicht auf die Bürgerinitiative reagieren müssen, heißt es von Seiten des Bürgermeisters. Aber sowohl die Gemeinde als auch der Landrat hätten sich für eine Berücksichtigung der Sorgen der Bürger:innen entschieden, weil man "1.500 in so kurzer Zeit gesammelte Unterschriften nicht ignorieren kann". Man habe die Nöte der Pfedelbacher:innen zusammengetragen und habe das Belegungskonzept verändert: Anstatt – wie ursprünglich geplant – mindestens 110 Geflüchtete, vor allem junge alleinstehende Männer, aufzunehmen, werden im Ort nun höchstens 95 Personen unterkommen, vorwiegend Familien, Ehepaare und Personen mit Behinderung. Doch langfristig garantieren können Landratsamt und Gemeinde diese Belegung nicht, sagte Mike Weise, Dezernent für Umwelt, Ordnung und Gesundheit des Landratsamtes Hohenlohekreis. Höchstens 24 Monate, weil es sich um eine vorläufige Unterbringung handelt, würden die Personen jeweils im Pfedelbacher Löwengarten verbringen. So lange bis das Asylverfahren abgeschlossen ist. Anschließend würden die Geflüchteten den Kommunen in die Anschlussunterbringungen zugewiesen.
Bürgermeister Kunkel betont immer wieder die beschränkte Handlungsfähigkeit des Gemeinderates. Und die Unwirksamkeit all der gesammelten Unterschriften. Denn ein rechtlich wirkendes Bürgerbegehren mit Möglichkeit eines anschließenden Bürgerentscheids greift laut Gemeindeordnung für Baden-Württemberg nur bei Angelegenheiten, für die der Gemeinderat zuständig ist. Das ist hier nicht der Fall.
Also schiebt der Bürgermeister die Schuld auf den Bund. Deutschland würde regelrecht mit Flüchtenden "geflutet", meint Kunkel. Er verweist auf die "Stuttgarter Erklärung", einen 12-Punkte-Plan der kommunalen Landesverbände Baden-Württembergs. Darin fordern sie unter anderem eine europaweit gleichmäßige Verteilung von Ankömmlingen sowie die Angleichung der gebotenen Leistungen und die Einrichtung von nationalen Ankunftszentren für eine schnelle Registrierung und für rasche Verfahrensabschlüsse. Auf Landesebene zeigt sich die Unzufriedenheit mit der bundesweiten Asylpolitik bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin. Die Regierungschefs und Regierungschefinnen der Länder fordern mehr Geld für sich und ihre Kommunen als Unterstützung bei der weiterhin steigenden Zuwanderung.
In Pfedelbach sind alle unpolitisch
Alexander Hoffmann, ursprünglich aus Kasachstan, wohnt direkt gegenüber des ehemaligen Seniorenzentrums "Im Löwengarten". Natürlich habe er die Bürgerinitiative mitunterzeichnet. Während er sich genüsslich eine Zigarette anzündet, fragt er ganz nebenbei: "Was ist mit den alten Menschen? Erschossen?" Gerüchte, dass die ehemaligen Löwengarten-Bewohner für die Geflüchteten gehen mussten, halten sich hartnäckig.
Das Verständnis für die Sorgen der Pfedelbacher:innen ist groß, auch bei jenen, die gar nichts gegen die geplante Flüchtlingsunterkunft einzuwenden haben. Da gibt es die Bäckereiverkäuferin, die selbst mit einem Geflüchteten verheiratet ist. Oder einen Pfedelbacher, der auf die Hilfsbereitschaft anderer Staaten setzt, "sollten wir mal die Hilfe benötigen".
Politisch scheint hier hingegen niemand zu sein. So betont Jörg Holdt, Pressesprecher der Anti-Flüchtlings-Bürgerintitative, der auf der Bühne der Nobelgusch-Halle eine Ansprache hält: "Wir distanzieren uns von der AfD." Dass der AfD-Funktionär Thomas Schmidt einer der Hauptinitiatoren der Unterschriftensammlung war, ändere nichts an deren Überparteilichkeit, meint Holdt. Weniger unpolitisch wirkt da ein älterer Herr, der sich mühsam zum Standmikrofon im vorderen Hallenbereich begibt, um klarzustellen: "Wer die Grünen wählt, wer die CDU wählt, der wählt das Unglück." Besonders pragmatisch scheint jedoch der Vorschlag einer Dame in ultramarinblauem Pulli. Was man mit den vielen geflüchteten Menschen machen solle, lautet die Frage. Na, ganz einfach: "Ned reilassa!"
Ihren aufgeheizten Höhepunkt erreicht die Veranstaltung nach zweieinhalb Stunden, als die Grüne Landtagsabgeordnete Catherine Kern das Wort ergreift. Sie appelliert an die Hilfsbereitschaft, ihre Worte gehen allerdings unter im hämischen Pfeifen und den Buhrufen der Anwesenden. Am nächsten Tag, so erzählt Kern am Telefon, hätten ihr jedoch Pfedelbacher:innen Mails geschrieben, wie sehr sie sich schämen würden und dass sie bereits über Wege des Engagements nachdenken. Für Kern ein klarer Beleg, "dass es in Pfedelbach auch Andersdenkende gibt". Sie sind nur schwer zu hören im Lärm der Kritiker:innen.
Viele verlassen die Veranstaltung enttäuscht und frustriert. Die Politik vernachlässige die Gefühle und Sorgen der ansässigen Bevölkerung, heißt es, nachdem sich alle mehr als zwei Stunden lang mit nichts anderem befasst haben. Wie sich die Menschen, die sich gerade auf der Flucht Richtung Deutschland befinden, in dem Moment fühlen, fragen sich unter den Anwesenden wohl die wenigsten.
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